Patienten erzählen
Ich hatte so viel Glück
Ein besonders schwerer Schlaganfall, eine sofortige Therapie mit großer Expertise und ein Patient, der heute wieder sein Leben ganz normal lebt
Ein Schlaganfall aus heiterem Himmel am Karfreitag-Nachmittag bringt das Leben des 64-jährigen Josef H. aus Trostberg beinahe zum Stillstand. Doch dank der sofortigen Behandlung durch das spezialisierte Team der Überregionalen Stroke Unit im Klinikum Traunstein (Chefarzt Prof. Dr. Thorleif Etgen) ist heute fast alles wieder wie vorher. Ein Bericht über Minuten, die über Leben und Gesundheit entscheiden – und ein Appell, sie nicht zu verschenken.
Ein Karfreitag, der alles veränderte
Es war ein gemütlicher Feiertagsausflug, wie ihn viele Paare verbringen: Josef H., ganz kurz vor der Rente – seinen Ausstand im Betrieb hat er schon gegeben – sitzt mit seiner Frau Angela und einem befreundeten Ehepaar in einem Restaurant in Seeon. Fischessen, gute Gespräche, ein Bier. „Plötzlich fing er an, wirr zu sprechen und er lallte“, erinnert sich seine Ehefrau Angela H. „Ich fragte mich noch: Hat er vielleicht zu viel getrunken?“ Doch die Freundin winkt ab – ein einziges Bier. Dann kippt Josef zur Seite, langsam, aber unaufhaltsam. Angela H. reagiert instinktiv: „Ich wusste, er darf nicht umkippen. Ich habe ihn gehalten, beruhigt, versucht, dass er gerade sitzt. Ich wusste sofort: jetzt pressiert es, das sieht aus wie ein Schlaganfall.“ Was Josef H. selbst davon noch weiß? „Ich war irgendwie benommen. Ich dachte mir noch: Was redet die da? Mir geht’s doch gut.“
Was folgt, ist die perfekte Rettungskette: Die Freundin setzt sofort den Notruf 112 ab mit der Information, dass es sich wahrscheinlich um einen Schlaganfall handelt, der Rettungswagen trifft nur wenige Minuten später ein. Um 15:45 Uhr beginnt für den 64jährigen der Kampf gegen die Zeit – und gegen die Aussicht auf ein Leben mit schwersten Behinderungen.
Sofortige intensive Behandlung
Um 16:11 Uhr erreichte der Rettungswagen die Klinik. Josef H. weiß ab jetzt nur noch Sekunden-Bruchstücke: „Blaulicht, ein Rollstuhl, die Notärztin, ein Schild mit dem Namen ‚Schwester Anna‘ – wie meine Tochter. Eine unwirkliche Situation.“
Priv.-Doz. Dr. Philip Hölter, Leitender Oberarzt der Neuroradiologie am Klinikum Traunstein und zertifizierter Schlaganfallexperte, erklärt den Ernst der Lage: „Herr H. hatte einen sogenannten Tandemverschluss, also einem Verschluss der Halsschlagader und der mittleren hirnversorgenden Arterie. Das bedeutet, seine rechte Gehirnhälfte war nahezu komplett von der Blutversorgung abgeschnitten. Das sind die großen, schlimmen Schlaganfälle. Zur Erklärung: Mit jeder Minute ohne Behandlung sterben etwa zwei Millionen Nervenzellen ab. Zwar können manche Gefäße auch bis zu 24 Stunden später noch minimal-invasiv geöffnet werden, doch die Gefahr bleibender Schäden steigt stark. Pro Stunde Verzögerung sinkt die Chance auf eine selbstständige Genesung um rund 20 Prozent. Deshalb gilt: ‚Time is brain‘ – Zeit ist Gehirn!“
Wie ein Schweizer Uhrwerk
Im Klinikum Traunstein greifen alle Abläufe wie ein präzises Uhrwerk ineinander – ein medizinisches Meisterstück, selbst an Feiertagen. Priv.-Doz. Dr. Hölter erinnert sich: „Herr H. war schwer betroffen: Er konnte die linke Körperseite nicht bewegen, der Mundwinkel hing, und er hatte starke Sprachstörungen.“ Deshalb ist der sogenannte FAST-Test so wichtig, erklärt Priv.-Doz. Dr. Hölter: „FAST steht für Face (Gesicht), Arms (Arme), Speech (Sprache) und Time (Zeit). Damit erkennt man schnell einen Schlaganfall und weiß: Keine Zeit verlieren!“
Bereits während der CT-Untersuchung erhält der Patient eine sogenannte Lysetherapie: Ein Medikament soll das Blutgerinnsel im Gehirn zumindest teilweise auflösen. Direkt im Anschluss folgt der nächste entscheidende Schritt – die minimal-invasive, mechanische Entfernung des Gerinnsels an der Angiografieanlage, die sogenannte Thrombektomie.
Enge Zusammenarbeit für einen komplexen Eingriff
Priv.-Doz. Dr. Hölter führt die interventionelle Therapie persönlich durch: „Der Eingriff war besonders anspruchsvoll: Die Halsschlagader war am Eingang stark verengt – das machte es schwierig, überhaupt bis zum Gefäßverschluss vorzudringen. Dennoch gelang es, das Blutgerinnsel sowohl aus der rechten Halsschlagader als auch aus der mittleren Hirnarterie mit speziellen Absaugkathetern zu entfernen.“ Doch damit war es nicht getan: Die verengte Halsschlagader musste zusätzlich mit einer Gefäßstütze, einem sogenannten Stent, offengehalten werden – sonst hätte sie sich erneut verschlossen.
„Eine solche Operation ist Millimeterarbeit, fordert höchste Konzentration und jahrelange Erfahrung, um die Spezialkatheter und den Stent an die exakten Positionen zu platzieren, ohne dabei Gefäße verletzen“ so Priv.-Doz. Dr. Hölter weiter, „Die mechanische Entfernung von Blutgerinnseln, zusammen mit der medikamentösen Therapie, ist heute der Goldstandard in der Schlaganfallbehandlung. Dieser Fall zeigt eindrucksvoll, wie wichtig die enge Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen aus der Neurologie, der Anästhesie sowie mit speziell geschultem radiologischem Fachpersonal ist. Nur so gelingen komplexe Eingriffe wie dieser.“
Gute Betreuung für Patient und Angehörige
Sechs Tage bleibt Josef H. in der Klinik – einen Tag auf der Intensivstation, vier auf der Stroke Unit und einen auf der Normalstation. Noch am Tag der Einlieferung wird Josef H. bereits wieder extubiert. „Ich wusste gar nicht, dass ich einen Schlaganfall hatte. Als ich auf der Intensivstation wach wurde, dachte ich: Wo bin ich eigentlich?“ Die Erinnerung ist bruchstückhaft, doch das Gefühl von Sicherheit ist präsent: „Ich habe mich sehr gut aufgehoben gefühlt.“
Seine Ehefrau Angela erinnert sich an die emotionale Achterbahnfahrt. „Ich fragte mich: Wie geht es weiter mit ihm – und mit unserem Leben?“ Die ganze Familie ist ins Krankenhaus gekommen. Schon während Josef H. behandelt wird, kommt eine Neurologin zur Familie und gibt ihr den entscheidenden Halt: „Es sieht sehr gut aus. Er hat sehr gute Chancen.“ Dieser Satz schenkt ihr und der ganzen Familie Zuversicht.
Schnell wieder auf den Beinen
Heute, nur zwei Monate später, kann Josef H. wieder alles machen wie zuvor und sein Leben ohne bleibende Einschränkungen leben: „Ich kann wieder Auto fahren, ins Fitnessstudio gehen, schwimmen. Beim Gewichtheben merke ich nur, dass die linke Seite noch etwas schwächer ist. Beim Schwimmen habe ich einen leichten Drall nach rechts. Aber das ist alles.“ Die Ehefrau ergänzt: „Das nennt man wohl Jammern auf ganz, ganz hohem Niveau.“ Einen Satz sagt Josef H. mehrmals: „Ich hatte so viel Glück.“
Der Vorfall war ein Weckruf: „Ich war sportlich, habe auf Ernährung geachtet, nie gedacht, dass mich so etwas betreffen könnte. Jetzt nehme ich lediglich ASS, Statine und Blutdrucksenker. Und ich rauche nicht mehr.“ Der implantierte Stent wird regelmäßig kontrolliert – momentan vierteljährlich, später halbjährlich. „So gut wie bei Herrn H. verläuft die Genesung bei einem Tandemverschluss leider nicht immer“, erklärt Priv.-Doz. Dr. Hölter. „Selbst bei einem erfolgreichen Eingriff sind die Aussichten schlechter als bei einem “einfachen“ Gefäßverschluss. Das war schon ein besonderer Fall. Das Wichtigste für Josef H. ist jetzt: dranbleiben und regelmäßig zur Kontrolle gehen.“
„Lassen Sie sich durchchecken!“
Josef H. ist dankbar – vor allem seiner Frau, aber auch dem gesamten Team am Karfreitag, der Notärztin und dem Klinikpersonal. „Ohne sie wäre ich heute nicht mehr ich.“ Seine Botschaft ist klar: „Ich kann nur jedem raten: Lasst euch durchchecken. Ich hätte nie geglaubt, dass mich das mal betrifft – aber es kann jeden treffen, auch wenn man sich gesund fühlt.“
Auch Priv.-Doz. Dr. Philip Hölter formuliert einen Appell: „Achten Sie auf Warnzeichen. Nutzen Sie den FAST-Test. Und zögern Sie nicht, sofort den Notruf zu wählen. Denn bei einem Schlaganfall zählt jede Minute!“
Stroke Units in Traunstein und in Bad Reichenhall
Das Klinikum Traunstein ist eine von nur 25 Partnerkliniken im Schlaganfallnetzwerk TEMPiS und zählt zu nur zwei Standorten im gesamten südostbayerischen Raum, die für Thrombektomien zertifiziert sind. Es verfügt zwischen München und Salzburg über die einzige „Überregionale „Stroke Unit“, in der das gesamte Spektrum moderner Schlaganfalltherapien rund um die Uhr verfügbar ist. Davon profitieren auch die Bewohner angrenzender Landkreise, und hier besonders die Patientinnen und Patienten aus dem Berchtesgadener Land: Die telemedizinische, vernetzte Stroke Unit der Kreisklinik Bad Reichenhall kooperiert sehr eng mit der im Klinikum Traunstein. „Solche Einrichtungen wie die unsere sind hochspezialisiert“, erklärt Priv.-Doz. Dr. Philip Hölter. „Wir verfügen über eine engmaschige Zusammenarbeit zwischen Neurologie, Neurochirurgie, Neuroradiologie und weiteren Fachdisziplinen. Gerade in ländlichen Regionen ist es entscheidend, dass hochspezialisierte Schlaganfallversorgung unmittelbar verfügbar ist – und genau das leisten wir hier: modernste Stroke-Kompetenz auf universitärem Niveau mitten im Chiemgau, ohne lange Wege nach München, Passau oder Regensburg.“
FAST-Test – So erkennen Sie einen Schlaganfall:
- Face – Hängt ein Mundwinkel schief?
- Arms – Können beide Arme gehoben werden?
- Speech – Ist die Sprache verwaschen oder unverständlich?
- Time – Keine Zeit verlieren! Sofort 112 wählen!
Folgen Sie uns in den sozialen Netzwerken