Patienten erzählen

Jedes Gramm zählt für kleine Wunder

Eine Geschichte über die Geburt zweier Frühchen im Klinikum Traunstein

Veronika Stampfl beim „Känguruhen“ mit ihren Zwillingen Helene und Marlena.
Veronika Stampfl beim „Känguruhen“ mit ihren Zwillingen Helene und Marlena.

Von der Zuwendung zu Mutter und Kindern in der Neonatologie

Draußen fällt Schnee in der Nacht des 18. Januar 2021 Es geht ein starker Wind, der den frischen Schnee verweht und die Straßen glatt und rutschig macht. Drinnen schlafen die schwangere Veronika Stampfl und ihr Mann Johannes friedlich. Sohn Georg, damals zwei Jahre alt, liegt mit im elterlichen Bett. Dann, aus dem Nichts, der Blasensprung. „Ich hab’ sofort gewusst, jetzt ist alles anders,“ erinnert sie sich. Die ausgebildete Hebamme weiß genau, was das bedeutet: Sie ist mit ihren Zwillingen in der 29. Schwangerschaftswoche. Es ist zu früh für die Geburt. Viel zu früh. „Es gab keinerlei Hinweise auf einen Blasensprung. Mein nächster Gedanke war: Wie soll ich das alles schaffen? Ich wusste: Ich muss in die Klinik und dort vielleicht für einige Wochen bleiben. Und ich kann meinen Sohn nicht sehen – kein Besuch wegen COVID-19.“ Die damals 29-Jährige steht leise auf und geht ins Wohnzimmer, um Georg nicht aufzuwecken. „Er hätte das alles nicht verstanden und wäre nur ängstlich geworden. Mein Mann hat derweil alles organisiert, hat den Sanka angerufen und den Opa mobilisiert, damit der sich um den Georg kümmert. Dann kam der Sanka im Schneesturm, die Besatzung kümmert sich rührend um sie. Angekommen in der Frauenklinik am Klinikum Traunstein, wird sie sofort untersucht. Ihr Mann Johannes fährt wieder nach Hause, nachdem klar ist, dass die Entbindung nicht sofort sein wird. Es gibt ja auch noch den kleinen Georg.

Zwischen Angst und Vertrauen

Die Oberärztin der Gynäkologie, Angelika Bertges, kümmert sich um Veronika, ebenso wie die Hebammen. „Da bin ich gedanklich dann von der leidenschaftlichen Hebamme aus Berufung zur werdenden Mutter geworden, die Angst hat um ihre ungeborenen Kinder und Angst vor dem, was kommt. Da hilft ihr die Zuwendung: „Die Hebammen und Ärztinnen haben sich um Körper und Seele zugleich gekümmert. Sie haben mich getragen. Ich war nicht nur Patientin – ich war Mensch.“ Veronika bekommt im Laufe des nächsten Tages Wehenhemmer und Medikamente für die Lungenreifung. Prof. Dr. Christian Schindlbeck, Chefarzt der Frauenklinik, erklärt: „Für uns ist wichtig, die Kinder so lange wie möglich im Bauch der Mutter zu halten. Da zählt jeder Tag. Jeder einzelne.“ Veronikas Gedanken drehen sich um Laborwerte und Herztöne, um Hoffen und Warten: „Ich wollte, dass die Kinder so lange wie möglich drinnen bleiben. Aber ich wusste: Dann sehe ich meinen Sohn Georg so lange nicht. Das war das Schlimmste.“

Mit ihr im Zimmer liegt eine andere werdende Zwillingsmama. Sie ist schon drei Wochen im Klinikum, ist schwanger mit zwei Buben. In den Gesprächen finden sie heraus, dass sie sich dieselben Jungennamen ausgesucht haben, wenn es den Jungen werden sollten (Veronika hatte sich bisher das Geschlecht ihrer Kinder nicht sagen lassen): „Mit dieser Frau bin ich bis heute befreundet.“ Später weiß Veronika dann: Es werden zwei Mädchen: Helene und Marlena.

Vier Tage nach ihrer Ankunft in der Klinik ist Schluss mit Warten: Trotz aller Medikamente müssen die Kinder jetzt per Kaiserschnitt auf die Welt geholt werden. Veronika erinnert sich: „Ich hab‘ geweint, weil ich wusste: Sie kommen jetzt und irgendwie war ich nicht bereit.“ Prof. Dr. Wolf, Chefarzt der Kinder- und Jugendmedizin am Klinikum Traunstein, erklärt: „In diesem Moment ist die enge Zusammenarbeit zwischen Geburtshilfe und Neugeborenen-Intensivmedizin entscheidend. Unser Team ist bei jeder Frühgeburt im Kreißsaal, um die Kinder sofort optimal zu versorgen. Durch die räumliche Nähe können wir rund um die Uhr sofort reagieren, ohne Transportwege und ohne Zeitverlust.“ Dr. Virginia Toth, Oberärztin der Kinder- und Jugendmedizin, begleitet Veronika daher eng und bespricht alles im Detail mit ihr, um ihr Sicherheit zu geben: „Wenn es der Mutter gut geht, profitieren auch die Kinder.“ Dr. Toth wird zur wichtigen Bezugsperson für Veronika: „Ich hatte vom ersten Wort an Vertrauen in sie, denn in diesen vier Tagen hatte ich viel Angst und ich wollte wissen, was mit mir und meinen Babys passiert.“

Zwei winzige Wunder

Am 22. Januar, am Anfang der 30. Schwangerschaftswoche, kommen Helene mit 990 Gramm in Normallage und Marlena mit 1.180 Gramm in Beckenendlage zur Welt. Danach ein inniger Moment: „Helene war schon auf dem Weg in die Kinderintensivstation. Marlena kam gerade aus dem OP mit mir. Sie haben es möglich gemacht, dass auf dem Gang das Bett und der Inkubator zusammengeschoben wurde und ich hineinlangen konnte. Das war für mich sehr wertvoll, dass das möglich gemacht wurde. Ich habe damit einen sehr, sehr wichtigen Moment erlebt und nochmal einen Teil der Geburt gespürt. Ich hab auch versucht, so früh wie möglich nach dem Kaiserschnitt zu den Kindern zu kommen, auch wenn das nicht ganz einfach für mich war. Betonen möchte ich, dass sich alle auch um mich sehr gut gekümmert haben und der psychologische Dienst jeden Tag bei mir war.“ Sie selbst geht auf eigenen Wunsch bereits zwei Tage nach der Entbindung nach Hause und kommt danach jeden Tag von zuhause in die Klinik zu ihren Töchtern.

Prof. Dr. Wolf erklärt, warum die Kinder- und Jugendmedizin am Klinikum Traunstein in solchen Fällen so wichtig ist: „Als einziges Perinatalzentrum Level I für die Landkreise Traunstein, Berchtesgadener Land, Altötting und Mühldorf gewährleisten wir die höchste Versorgungstufe für Risikoschwangerschaften und Frühgeborene in der Region. Die Neonatologie Traunstein ist geprüft vom Medizinischen Dienst Bayern und erfüllt alle Vorgaben der Qualitätsrichtlinie für Früh- und Reifgeborene. In unserer Level 1-Neonatologie verfügen wir über eine Infrastruktur, welche in der Region einzigartig ist: Kinderärzte mit der Qualifikation Neonatologie, spezialisierte Kinderkrankenpflege, Kinderkardiologie und Kinderchirurgie, Kinderanästhesie sowie eine spezialisierte Bildgebung mit Ultraschall und MRT sind rund um die Uhr verfügbar.“

Ines Pato, die stellvertretende Stationsleiterin der Kinder-Intensivstation, ergänzt: „Außerdem streben wir eine entwicklungsfördernde und familienzentrierte Pflege an. Wichtig ist hier das so genannte „Känguruhen“, bei dem die Kinder direkt auf der Brust liegen. Damit Eltern und Kinder genug Zeit haben, legen wir großen Wert auf das Einhalten der Ruhezeiten für die Kinder, eine gekoppelte Versorgung, das Minimieren der medizinischen Maßnahmen, der Geräusche und unangenehmer Reize. Es gibt sozialmedizinische und psychologische Angebote und regelmäßige Physiotherapie. Worauf ich mich auch persönlich sehr freue, ist, dass wir in unserem Neubau bald auch die Möglichkeit eines 24h-Rooming-in Angebots für die Eltern haben.“

Veronika Stampfl kann das Alles aus eigener Erfahrung bestätigen: „Ein Highlight und für mich unvergesslich, waren die „Känguruhen-Zeiten“: Ich war vorher und nachher nie so sehr im Moment im meinem Leben – Zeit und Raum sind weg – als dann, wenn meine Kinder auf meiner Brust lagen, das Gefühl hat sich quasi in mir eingebrannt. Darauf haben auch die Mitarbeiterinnen Rücksicht genommen: ‚Ach, ihr känguruht gerade, da wollen wir nicht stören‘.“ Auch an die allerersten Tage und einen Schlüsselmoment kann sich Veronika erinnern: „Die ersten 6 Tage war jede meiner Töchter in ihrem eigenen Inkubator, dann wurden sie zusammen in einen gelegt. Das war wirklich vorbildlich von der Klinik. Die beiden haben direkt die Nähe der Schwester gespürt. Ab wann ich zuversichtlich geworden bin, war, als Helene im Inkubator eine Kuschelente, die an ihre Füße gelegt worden war, zur Seite getreten hat. Da wusste ich sofort, wenn sie das schafft, dann schaffen wir alles Weitere auch.“ Den beiden Kindern geht es gut und sie machen große Fortschritte. Schon Ende der eigentlich 35. Schwangerschaftswoche dürfen die Eltern die beiden mit nach Hause nehmen: „Außer einem Leistenbruch bei Helene war alles in Ordnung mit beiden. Sie hatten da schon 1900 Gramm. Ein Wunder, wenn man weiß, welche Gefahren Frühgeborenen oft drohen.“

Erste Spenderin für Muttermilch

Veronika hat viel Muttermilch: „Muttermilch war das Wertvollste, was ich geben konnte. Ich kam nach 14 Tagen auf zwei Liter täglich, meine Kinder brauchten gar nicht alles.“ Das Team der Kinderintensivstation kommt mit einer Anfrage auf sie zu: ob sie sich vorstellen könnte, ihre Milch für eine Muttermilchbank zu spenden. Veronika ist hellauf begeistert: „Eine tolle Idee, ich hab‘ sofort zugesagt, da kam die Hebamme in mir durch.“ Und so wird sie die erste Spenderin der Muttermilchbank des Klinikums.

Zwei Wirbelwinde mit Willen

Heute, fast fünf Jahre später: Helene und Marlena sind temperamentvoll, laut, fröhlich und gehen ihren Weg. Frühchen – das ist nur noch Erinnerung: „Frühchen sind eine Aufgabe, aber irgendwann sind sie einfach Kinder. Es passiert alles etwas später, krabbeln, laufen, sprechen. Sie haben alles aufgeholt. Sie sind gesund, sie lachen, sie streiten. Man darf sie nicht ewig in Watte packen. Aber wir wissen auch, dass wir uns glücklich schätzen dürfen. Bei anderen Kindern bleibt die Frühgeburt nicht folgenlos, das darf man nie vergessen.“ Doch selbst die beiden bleiben sensibel: „Sie brauchen Nähe. Wenn eine bei der Oma ist, ruft die andere an, ob’s ihr gut geht. Aber sie fetzen sich auch. Ganz normale Schwestern.“

Die Lehren einer Hebamme

Veronika Stampfl leitet selbst eine Praxis mit vier Kolleginnen in Kirchweidach. Als vierfache Mutter weiß sie sehr genau, was Mütter in Krisenzeiten brauchen und wie leicht man sich selbst vergisst: „Kinder profitieren am meisten von einer Mama, der es gut geht. Aber die Gesellschaft macht Schuldgefühle: Hast du zu lange gearbeitet, zu viel Stress gehabt? Die Vorwürfe und das ‚Mom-Shaming‘ sitzen tief.“ Sie sagt, viele Frauen brechen Monate später ein: „Nach ein paar Monaten kommen die Tränen. Dann, wenn alles vorbei scheint. Es ist gut, sich dann psychologische Betreuung zu holen, man kann den Einbruch damit gut bewältigen. Es ist ok, wenn man seine Gefühle anschaut und sich darum kümmert. Daher mein Ratschlag: Nicht wegdrücken und einfach weiterfunktionieren!“