Patienten erzählen

Ein zweites Leben

Eine Patientengeschichte über ärztliches Können, den Wert psychologischer Betreuung, hingebungsvolle Pflege und nicht nachlassenden Glauben an die Heilung.

Die Kontroll-Angiographie Anfang Februar 2025 bestätigt, dass die Behandlung erfolgreich war und die Durchblutung im Gehirn wieder vollständig hergestellt ist.
Daniela Z. besucht die Intensivstation im Klinikum Traunstein, nur gestützt auf eine Krücke und mit einer Fußheberschiene

Es war ein schöner Abend bei der Hochzeitsfeier der Freunde Ende April 2024. Wieder zuhause, möchte Daniela Z. nur noch kurz etwas nachsehen und stürzt auf der Kellertreppe. Kurze Zeit später findet Herr Z. seine Frau auf dem Boden liegend, benommen, aber äußerlich unverletzt. Am nächsten Morgen fühlt sich die 42jährige so schlecht, dass sie beide ins Krankenhaus fahren. In der Kreisklinik Bad Reichenhall folgt die erschütternde Diagnose: schwere Blutungen im Schädel. Die Ainringerin wird sofort mit dem Rettungshubschrauber ins Klinikum Traunstein geflogen. Ankunft 12:41 Uhr, das interdisziplinäre Team der Intensivmedizin, Neurochirurgie und Neuroradiologie erwartet sie bereits.

„Ich erinnere mich genau: Frau Z. war leicht desorientiert, aber ansprechbar“, berichtet Dr. Andreas Mangold, Leitender Arzt der Neuroradiologie am Klinikum Traunstein. „Doch ihre Bewusstseinslage verschlechterte sich zusehends, und wir mussten sofort handeln.“ Die Patientin wird intubiert und beatmet, und erhält von Priv.-Doz. Dr. Jens Rachinger, Chefarzt der Neurochirurgie am Klinikum Traunstein, eine Drainage zur Ableitung des Nervenwassers, um den Hirndruck zu senken. Neben einem Bruch des zweiten Halswirbels bestätigt das CT eine Schädel-Hirnverletzung mit ausgedehnter Blutung im Schädelinneren. Die daraufhin eingeleitete Katheteruntersuchung der Gehirnarterien zeigt ein Aneurysma, also eine Gefäßaussackung, die durch einen Einriss der inneren Gehirnschlagader verursacht wurde.

Mutige Entscheidungen und interdisziplinäre Zusammenarbeit

Aufgrund der dramatischen Diagnose entscheidet sich Dr. Mangold zu einer ungewöhnlichen Behandlungs-Methode: Er setzt einen sog. Flow-Diverter ein, um das gerissene Gefäß von innen abzudichten. „Es ist ein Verfahren, das in derart seltenen Fällen keinen Routineeingriff darstellt – eine Art Stent für die Gehirnarterie. Ich wusste, dass es Risiken barg, aber es war ihre einzige Chance“, sagt er. Die ersten 48 Stunden nach der Operation sind entscheidend und der Zustand von Daniela bleibt kritisch. Im weiteren zeitlichen Verlauf wird er sich durch Krämpfe der Blutgefäße, sogenannte Vasospasmen, noch verschlechtern. Diese führen zu einer Minderdurchblutung des Gehirns, die schwerwiegende Infarkte auslösen kann. Dr. Mangold entscheidet sich erneut für eine unkonventionelle Behandlung: in weiteren fünf Katheteroperationen kann er die durch die Krämpfe verengten Gefäße medikamentös und mechanisch mit Ballons und Stents erfolgreich erweitern.  „Wir haben mit unseren Entscheidungen alles darangesetzt, ihr Leben zu retten.“

Priv.-Doz. Dr. Rachinger und Dr. Mangold führen insgesamt zehn Operationen durch. „Es war eine enge Zusammenarbeit. Jeder Eingriff wurde im Team und gemeinsam mit ihrem Ehemann besprochen“, sagt Priv.-Doz. Dr. Rachinger. Und Dr. Mangold ergänzt: „Der Ehemann befürwortete unseren Plan offensiv und hatte volles Vertrauen in uns, obwohl damals niemand vorhersagen konnte, ob es funktioniert oder nicht. Das waren wirklich schicksalsbestimmende Operationen und ich bin sehr froh, dass wir immer wieder aufs Neue an den Erfolg geglaubt haben.“

Pflegerische und psychologische Unterstützung für die Patientin und ihre Angehörigen

Von Beginn an spielt die enge Beziehung zwischen der Betroffenen und ihrer Familie sowie dem Behandlerteam, bestehend aus Fachärzten, hochqualifizierten Pflegekräften und therapeutischen Mitarbeitern, eine Schlüsselrolle. Zum therapeutischen Team der Intensivstationen zählt am Klinikum Traunstein auch der Psychologische Dienst um Gisela Otrzonsek.  Deren Wirken ist jedoch keine Regelleistung der Krankenkassen und kann nur aufgrund der finanziellen Unterstützung der Eva Mayr-Stihl-Stiftung angeboten werden.

 „Die figurative Begleitung der Aufwachphase solch einer Patientin ist aufwendig aber unbedingt notwendig. Wir waren jeden Tag bei Frau Z., auch während sie im Koma lag“, erzählt Gisela Otrzonsek. „Gemeinsam mit der Pflege suchten wir nach kleinsten Zeichen von Bewusstsein, nach einer Regung im Gesicht oder einer Bewegung, um das Aufwachen und Re-Orientieren sanft unterstützen zu können. Um die vielen kleinen und großen Schritte der Genesung für sie festzuhalten, begann die Pflege, unter Einbeziehung von Familie und Freunden, ein Intensivtagebuch zu schreiben.“

Zum Behandlungsprozess gehört auch die Einbeziehung der Familie der Patientin. Ihr Ehemann ist von Anfang an in alles involviert. Für ihn ist es selbstverständlich, seinen Tagesablauf so anzupassen, dass er jede freie Minute bei seiner Frau verbringen kann. „Trotz aller Belastungen war Herr Z. in der Lage, die Situation mit seinen Kindern tapfer zu meistern. Durch die enge Begleitung des Teams wusste er, dass er uns zu jeder Zeit als Ansprechpartner hatte.  Auf seinen Wunsch sprachen wir über Hoffnungen und Ängste in der Familie und darüber, mit welchen Einschränkungen seine Frau würde leben können und wollen.“, sagt Otrzonsek und fährt fort: „Es ging darum, den Themen der Angehörigen einen sicheren Raum anzubieten und deren eigene Bewältigungsstrategien zu stärken. Er war ja, besonders in kritischen Phasen, 24 Stunden am Stück bei ihr. Dann wurde er von den Pflegekräften aufgefangen und durch Gespräche unterstützt. Das kleine Angehörigenzimmer auf der Intensivstation bot in dieser Situation einen willkommenen Rückzugsort für ihn, um zur Ruhe zu finden und Kraft zu tanken.“ In einer „angehörigenfreundlichen Intensivstation“ wie der am Klinikum Traunstein geht das.

Danielas Weg zur Genesung

Nach zwei Monaten auf der Intensivstation wird Daniela in die Rehabilitationsklinik nach Bad Aibling verlegt. Sie benötigt weiterhin Unterstützung beim Atmen durch eine Kanüle, kann nicht sprechen, hat eine Hirnwasserdrainage und ist rechtsseitig gelähmt. Niemand weiß, ob sie jemals wieder laufen oder sprechen kann. „Sie zeigte einen unglaublichen Willen“, erinnert sich Gisela Otrzonsek. In der Reha durchläuft sie Lungentraining, Physio-, Logo- und Ergotherapie sowie neuropsychologische Unterstützung. Im November 2024 kehrt sie nach Hause zurück.

Dankbarkeit und neue Perspektiven

Nur wenige Wochen später, am 6. Dezember, besucht sie die Intensivstation am Klinikum Traunstein und überrascht alle: Sie kommt auf eigenen Beinen, nur gestützt auf eine Krücke und mit einer Fußheberschiene. „Ihr Anblick machte kurz sprachlos. Wir waren überwältigt, dass man sich von so einem Zustand so rasch erholen und körperlich verbessern kann“, sagt Otrzonsek. „Sie hat sich aus einer physisch und mental äußerst schwerwiegenden Situation herausgekämpft.“

Bis heute stellt das Intensivtagebuch für die Patientin eine Unterstützung bei der Verarbeitung des Erlebten dar. Darin sind Bilder, Berichte und Erinnerungen von allen Personen festgehalten, die Teil ihres langen Wegs waren. „Es half mir, die fehlenden Stücke zu verstehen. Dieses Buch zeigte mir, wie viele Menschen an mich geglaubt haben“, sagt Daniela gerührt.

Ein Beispiel für Hoffnung und Stärke

Dr. Mangold betont: „Es sind Momente wie diese, die unsere Arbeit so besonders machen und uns auch bei schwierigen Fällen Mut machen, nicht aufzugeben.“ Die Patientin kommt an Weihnachten ein weiteres Mal auf die Intensivstation, um sich bei dem Team zu bedanken und gibt dabei auch die Parole für ihre Zukunft aus: „Wenn Ängste oder Zweifel aufkommen, ob es noch Besserung für mich gibt, dann weiß ich heute ganz genau, auf wen ich zählen kann. Aufgeben war nie eine Option für mich. Ich bin mir sicher, dass ich mit allem umgehen kann, egal was kommt. Auf, in mein zweites Leben!“